Noch eine halbe Stunde ist vergangen, aber niemand ist angekommen. Es riecht nach Abgasen. Mit immer demselben tong klong fahren die Autos über die Schwelle an Land, the sea sweats oil and tar. Nun, dann drehen wir noch eine Runde. Ob die Angler hier eigentlich was fangen? Nun, dann noch ein Eis vielleicht. Eins von diesen weißen, wässrigen mit der Schokolade oben drauf. Auf dem Weg zum Eis noch mal die Autoschlange schätzen, wie lange könnte es noch dauern? Wer weiß was drüben ist. Vergangenheit und Gegenwart sind vom Moment aufgesogen, alles Gefühl verschmilzt mit der Fähre im Takt der 30 Minuten. Die Maßeinheit der freudigen Erwartung ist Himmel, Meer und Autos, in Reihen wartend.
Abschied.
Der Geruch von starkem, schwarzen Kaffee dringt durch die Maske, und was fehlt, ist die Gemütlichkeit eines Frühstücks in der Regionalbahn. Trotz allem bin ich auf dem Weg. Es ist unpraktisch, im Sommer zu sterben, wenn alle verreist sind. Oder verreisen wollen. Wenigstens kann sich der Tote damit trösten, dann nicht mehr einen dunklen Winter erleben zu müssen, aber ob das noch einen Unterschied macht, wenn zukünftig im Sommer immer die Wälder brennen werden? Fraglich. Trotzdem erscheint es mir schon besser, im Sommer geboren zu werden, als zu sterben. Er sprach mehr mit den Meerschweinchen seiner Töchter als mit den Töchtern. Manchmal waren Gefühle zu erkennen, wenn er uns am Bahnhof mit den Hunden entgegenkam. Vielleicht hat ihn die frühe Fremdheit des Hochdeutschen nie ganz verlassen, denke ich mit einem Mal. Nun kann ich ihn nicht mehr fragen. Wahrscheinlich hätte er diese Frage auch nicht verstanden. Er ist Tierarzt geworden für einen Grund, meint die Tochtertocher, die lieber englisch spricht, und fragt mich, wie es für mich ist, dass er nicht mehr da ist. Ich habe den Vater immer vermisst, sage ich ihr, ohne ihn zu vermissen. Die Fähigkeit zu fühlen hat ihn und mich übersprungen und ist erst bei euch angedockt. Er hat es nie geschafft, die inneren Türen aufstoßen und in jeder bitteren Erkenntnis den Teil zu packen, der uns weiterbringt. Wenn wir nur mutig sind. Mit diesem Gedanken winke ich einmal über das Watt bei Borkum und sage: Farewell Vaddern, hab‘ es gut, die Erde möge leicht auf dir sein.
Wie es ist.
Dein Körper gehört nicht mehr dir alleine, damit fängt es an. Ein unsichtbares Etwas fordert Raum. Es drängt deine Organe beiseite und verursacht Erdbeben in dir. Kurz danach teilst du deine Brüste doch das, das ist ein schöner Teil der Geschichte, dieses gierige Verlangen nach Nahrung, als ginge es um Leben und Tod. Buchstäblich. Dieses schmerzhafte Verlangen nach Entleerung der Brust, wenn es vorbei ist, das Gefühl wie nach einem Orgasmus, ermattet beide, und die Erleichterung so groß. Es beschlagnahmt dein Bett, jede Nacht, du hast Füße im Gesicht, du weichst auf den äußersten Rand aus, warum nur hast du eine größere Wohnung gemietet, ein breiteres Bett hätte gereicht. Von den mit Fieberträumen durchwachten Nächten, von denen, die Erbrechen vorzeitig beendete wollen wir gar nicht sprechen. Irgendwann hat sich dein Körper erholt, aber du erinnerst dich kaum noch an diese Sache namens ruhiger, langer Schlaf, wenn du unverhofft alleine bist, starrst du ratlos die Wand an. Was tue ich jetzt fragst du sie. Ist es groß, wird deine Kleidung sozialistisches Eigentum, deine Schals, deine Pullover, solange, bis es größere Füße hat als du. Immer bist du begleitet von der Melancholie die in dein Ohr flüstert: sie werden nicht bleiben, diese ganzen kostbaren Momente mit ihnen! Du hast diese Zeit nur vom Leben geliehen. Irgendwann lernst du die Freiheit wieder kennen und ihren Zwilling, die leeren Zimmer, beide riechen so verlassen, trotzdem erinnerst du was schon verloren schien, du denkst an den entbehrten Körper, die entbehrten Nächte und du gehst zurück durch die kalte Dunkelheit. Wolken jagen sich am Himmel, der Mond lächelt spöttisch. Du bist doch nicht traurig, scheint er zu sagen. Was hast du erwartet? Es ist unfair, versuchst du noch einen Einwand bevor du dich geschlagen gibst, all‘ diese Mühe, all‘ diese Liebe, und dann sind sie einfach – fort? Das ist der Sinn von allem, das ist der Lauf deines guten Lebens.
Der Wind faucht in den stillgelegten Schornstein Wie ein liebeskranker Drache mit zu großen Händen Ansonsten ist nur Ausgangssperre Stille Lachend tauche ich wieder auf, tauche auf aus den Tiefen des Schlafs am Samstagnachmittag. Ich lege dir deine Fotoalben mit ins Grab sagte sie in meinem Traum, dann kannst du sie im Himmel digitalisieren. Pflanz‘ noch ein Meer aus Schneeglöckchen Oben auf mich drauf! Dann werde ich wunschlos glücklich tot sein.
Jeder Moment ist die schönste Zeit die wir je hatten Jede Berührung von dir Das stärkste Gefühl das ich je fühlte Jeden Morgen rieselt leise Mehr Zuneigung auf den großen Berg Danach: kein Abschiedsschmerz Nur das Glück: ichduwir ist gewesen Nur das Glück: solange wir nicht tot sind gibt es ein nächstes Mal
meine einzige aufgabe heute sei: aufzupassen dass die möwen richtig fliegen so sagte er also will ich tun wie mir geheißen aber da ist nur das wasser es flieht vor dem sturm in richtung horizont. ich sehe den kleinen ostseewellen zu die auf der stelle rollen wenige nur kämpfen sich an land und haben ein rendez-vous mit den sandkörnern. hier fliegt heute niemand. soviel steht fest. doch die findlinge werden umspült ordentlich geglättet wie seit jahrtausenden. ein beruhigender gedanke. ich kehre um. ich werde berichten.
Balkon
Dort seitlich läuft Dampf aus dem Rohr,
der Himmel ist rot aber dann
Erscheint ein Streifen Licht,
gegenüber klappert ein Gerüst an der Hauswand.
Einzelne Rufe der Arbeiter wehen herüber,
ansonsten nur der Sound von Schüssen aus einem Computer.
Sieh mal, bemerke ich
die Wollsocken haben
die gleiche Farbe wie mein Teebecher,
immerhin. Oder heißt es dieselbe.
Ziellos müde beginnt der Tag.
Drabble II
Also küsste ich dich, während kühler Wind über meinen Rücken strich und der Buntspecht hoch oben im uralten Kastanienbaum turnte. Unsere Augenblicke sollen für immer sein, sagtest du in mein Haar hinein, dieser hier zum Beispiel. Ein Fädchen Mond stand am Himmel, einfach so, nachmittags, noch oder schon. Wir haben schon so viele für immer Augenblicke gesammelt, Feldmann, murmelte ich leise gegen dein Hemd, meinst du nicht? Aber du hast recht, genug können es nie sein. Wenn ich bald sterbe kann ich sagen: mit dir ist mir das schöne Leben auf die Haut geprasselt. Immer wieder und immer wieder.
Geschrieben für das Interview mit mir im Podcast „Titel gesucht“ Anfang Dezember 2021
Drabble I
Ich habe es doch wiederholt, denke ich plötzlich. Ungewollt, dennoch. Ist es jetzt zu spät? Es ist unfair, nicht wahr? All die unendliche Liebe, all die Mühe, so viele Jahre. Die durchwachten Nächte und Geschichten, die nie enden. Das Gefühl, nur Fehler gemacht zu haben, und vielleicht doch wieder nicht. Elende Zweifel. Nun packen wir die schlafwarme Bettwäsche als letztes in den Karton, dann ist sie fort. Die Zeit ist ein Mückenstich im Weltall die ein Klavier hinterlässt. Zurück bleiben meine Tränen in einem leeren Zimmer. Zurück bleibt Hoffnung: es wird weitergehen, aber anders. Es wird gut, aber anders gut.
Geschrieben für das Interview mit mir im Podcast „Titel gesucht“ Anfang Dezember 2021
Doppelte Premiere

Vor einer Woche habe ich dem Podcast „Titel gesucht – der Podcast für schreibende Künstlerseelen“ von Nadine Balazs und Nadja Bobik ein Interview gegeben. Für mich war es das erste Mal, dass ich so öffentlich über das – mein – Schreiben gesprochen habe, und für den Podcast war es das erste Interview. Ungefähr 24 Stunden vor dem Interview sagte Nadine, ich könne auch gerne einen Drabble mitbringen. Oh je, dachte die Langsamschreiberin in mir. 100 Worte, so kurzfristig? Am Ende entstanden gleich zwei Drabbles; sie sind im Podcast zu hören und ich werde sie hier in den nächsten Tagen auch noch mal veröffentlichen. Genaugenommen also eine dreifache Premiere, denn einen Drabble hatte ich bis dahin noch nie geschrieben.
„Titel gesucht“ ist überall zu hören, wo es Podcasts gibt, z.B. hier bei Apple
https://podcasts.apple.com/de/podcast/titel-gesucht/id1569596900
Die Folgen sind alle eine lohnende Ohrenlektüre, finde ich.
Wer Nadine und Nadja auf Instagram folgen will, ist hier richtig